Lars Grasemann
Marketing-Stratege | netzstrategen
Wir haben in unserer Praxis ja oft mit der Entwicklung neuer Produkte für Medienhäuser zu tun. Sei es der Relaunch einer Nachrichtenseite, die Einführung einer App oder der Launch einer Reichweitenplattform. Während Magazinverlage in der Vergangenheit als experimentierfreudig galten (ein neuer Magazintitel für eine Zielgruppe ist schnell eingeführt und im Zweifel schnell wieder eingestampft), sahen die Zeitungsverlage vor allem die Pflege ihres Kernproduktes Zeitung als Hauptaufgabe an. Die Zeitung ist per Definition ein generalistisches Produkt, das möglichst viele Leser über ein möglichst breites Themenspektrum regelmäßig informiert.
Fragmentierung der Mediennutzung
Einer der Megatrends der digitalen Mediennutzung ist die Fragmentierung. So verteilt sich die Aufmerksamkeit auf immer kleinere Informationshappen aus immer mehr Quellen auf immer mehr Endgeräten. Diese Fragmentierung steht den oben genannten Eigenschaften des Produkts Zeitung diametral gegenüber, denn EIN umfassendes Produkt für ALLE ist der Inbegriff von Bündelung. Wenn nun Zeitungsmacher digitale Produkte entwickeln, ist die große Kunst, passende Angebote für einzelne Zielgruppen zu schaffen. Die “eins-für-alle” Perspektive steht dabei allzu häufig im Weg. Deshalb sollte vor der Entwicklung des Produkts (oder der Produkte) die Identifikation der relevanten Zielgruppe(n) stehen.
Fragmentierung der Produkte? Segmentierung der Zielgruppen!
Die Produktpalette ist bei den meisten Verlagen in den letzten Jahren gewachsen. Erst kam die (kostenlose) Website, dann das E-Paper, dann die App und zuletzt die Paywall auf der Website. Damit tragen die Zeitungsverlage der veränderten Mediennutzung bereits Rechnung. Damit dies von Erfolg gekrönt ist, empfiehlt sich nicht nur eine Fragmentierung des Produkts Zeitung in verschiedene digitale Angebote. Sondern die gezielte Bearbeitung von Zielgruppenfragmenten oder besser -segmenten. So sind Zielgruppen in der Praxis oft schnell formuliert: da gibt es die Printleser, die immer stärker ins Netz gehen, auf der einen Seite. Und es gibt die Digital Natives, die keinen Bezug zu Print haben und Nachrichten nur online konsumieren, auf der anderen Seite. Das Problem der Bearbeitung dieser Segmente liegt oftmals darin, dass diese Zielgruppenbeschreibungen sehr allgemein und wenig greifbar sind.
Konkretisierung mit Hilfe von Personas
Für die Umsetzung und Gestaltung der Produkte braucht man eine konkrete Vorstellung über die potenziellen Verwender. Eine Möglichkeit, diese Vorstellung zu bekommen, ist die Definition von Personas. Eine hilfreiche Definition findet sich im Glossar von onlinemarketing-praxis.de:
Personas (lat. Maske) sind Nutzermodelle, die Personen einer Zielgruppe in ihren Merkmalen charakterisieren. Sie können z. B. einem Entwicklerteam aufgrund ihrer umfangreichen Beschreibung helfen, sich in die Lage der potenziellen Nutzer zu versetzen und diese Perspektive während des gesamten Designprozesses leicht zu vertreten. Sie werden mit einem Namen, einem Gesicht, einer Funktion, einem Werdegang und einem Privatleben versehen. Personas verfügen über Ziele und Verhaltensweisen, haben Vorlieben und Erwartungen.
Der Trick ist die plakative Ausgestaltung mit Merkmalen. So wird aus “die jungen Leute, die dauernd online und nur auf Spaß aus sind”:
Tanja (19, single)
- macht eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau
- wohnt alleine in einer kleinen Stadtwohnung
- besucht die Eltern jedes Wochenende zum Essen
- besucht regelmäßig das Fitness-Studio
- geht in der Freizeit mit Freunden gerne etwas trinken
- tanzt gerne am Wochenende in der Disco
- geht gerne im Einkaufszentrum shoppen
- besucht Nachrichtenseiten sporadisch über Social Media oder WhatsApp-Links
Diese Definitionen sollten im Idealfall mit quantitativen Marktdaten aus Studien und Umfragen hinterlegt werden. Für die Entwicklung und das Design der Produkte und auch die redaktionelle Arbeit ist es hilfreich, sich immer zu fragen: ist das interessant für Tanja? Wie erreicht sie unsere Botschaft? Was macht sie damit?
Noch anschaulicher wird das ganze, wenn man mal eine zweite Persona daneben stellt. Man sieht schnell, dass es eben “die jungen Leute” einfach nicht gibt.
David (24, in einer Beziehung)
- studiert Englisch und Deutsch auf Lehramt
- wohnt in einer WG in der Nähe der Uni
- joggt gerne
- hat einen Nebenjob in einer Buchhandlung
- interessiert sich für Pop-Kultur (Musik, Bücher)
- besucht gerne kleine Club-Konzerte
- kauft gezielt in kleinen Läden
- nutzt überregionale Nachrichtenseiten und liest ab und zu die Wochenendausgabe
Natürlich gibt es nicht immer für jede Persona ein eigenes Produkt. Viel mehr muss man sich fragen, welche Personas haben wir in unseren Zielgruppen? Und welche finden sich in welchem Angebot wieder. Das bedeutet, zwei bis drei Personas je Produkt sind völlig ok. Damit ist man noch weit weg von “allen”, vergisst auf der anderen Seite nicht die halbe Zielgruppe. Das schöne an der Arbeit mit den Personas und ihren Merkmalen ist ja, dass wir das hinterher messen können. So können wir über Nutzerbefragungen herausfinden, ob und wie sich unsere tatsächlichen Nutzer von den vorab definierten Personas unterscheiden.
UPDATE 27. Juli 2017:
Für die Entwicklung von digitalen Nachrichtenprodukten haben wir gemeinsam mit dem SINUS Institut in Heidelberg Medienpersonas entwickelt, die psychografische Merkmale auf der einen mit der Mediennutzung auf der anderen verbinden. Entstanden sind so sieben Persona-Paare, die eine Segmentierung der Nachrichtennutzer ermöglichen.
Wenn Ihr genauer wissen wollt, was es mit Georg, Tamara, Marc, Steffi und co auf sich hat, schreibt mir gerne eine E-Mail. Gerne stellen wir die Personas in einem Workshop vor und erarbeiten erste konzeptionelle Ansätze für Dein digitales Produkt!
Eine Antwort
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